
Neapel – „Vedi Napoli e poi muori“
„Wenn ich Worte schreiben will,
so stehen mir immer Bilder vor Augen des fruchtbaren Landes,
des freien Meeres, der duftigen Inseln, des rauchenden Berges
und mir fehlen die Organe, das alles darzustellen.“
Goethe, Italienische Reise

Neapel sehen und sterben – Zu Gast in der Süditalienischen Metropole Neapel
Neapel, die Hauptstadt der Region Kampaniens, zu Fuße des Vulkans Vesuv gelegen, zählt zu den drittgrößten Städten Italiens und besticht durch seine Menage an Gegensätzlichkeit. Jeder Italienreisende, der schon Kulturstädte wie Rom, Florenz oder Venedig bereiste, wird sich in der Millionenstadt Neapel mit einer ambivalenten Reizüberflutung konfrontiert sehen, welche sich nur schwer mit der Opulenz der berühmten Renaissancestädte vergleichen lässt. Hierin liegt jedoch die Quintessenz – denn nur wer bereit ist, die oberflächlichen Schichten des Schmuddel-Images, des Verkehrschaos, der organisierten Kriminalität und den sich auftürmenden Müllbergen hinter sich zu lassen, dem wird sich das Charisma Napolis erschließen. Der Name der Stadt entstammt dem altgriechischen néa pólis, die neue Stadt und dies, obwohl ihre Gründungsgeschichte auf das Jahr 500 v. Chr. rückdatiert werden kann. Bestimmt durch jahrhundertelange Fremdherrschaft, prägen deren kulturelle Einflüsse noch heute das architektonische Stadtbild. Liebe auf den ersten Blick ist hier wohl eher die Ausnahme, dennoch beeindruckt mich die Metropole am Golf von Neapel gerade durch ihre realitätsnahe, ungekünstelte Unfeinheit. Zu Recht wurde daher die gesamte Altstadt 1995 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen.
Camorra, Pizza und Vesuv
Denkt man an Neapel, so konzipiert das geistige Auge sogleich die wohl drei größten Stereotypen welche der Stadt anheim wohnen: Camorra, Pizza und Vesuv.
Soviel vorab – Die Schattenwirtschaft der Mafiaorganisation Camorra verläuft weitestgehend im Verborgen, weshalb für den Reisenden keine akute Gefahr besteht. Sie ist vielmehr in den ärmeren Bevölkerungsschichten anzusiedeln, kontrolliert heimische Unternehmen, das Rotlichtmilieu, sowie den Handel mit Drogen und Schmuggelware. Medienberichten zufolge, ist die Organisation in der näheren Vergangenheit vor allem mit der Problematik der örtlichen Müllentsorgung in Zusammenhang zu bringen. Aber nicht nur die olfaktorische Gefahr der wachsenden Müllberge bedroht das alltägliche Gefüge. Als einziger aktiver Vulkan des europäischen Festlandes genießt der Vesuv besonderen Stellenwert innerhalb der neapolitanischen Kultur. Nur 9 km vom Stadtzentrum entfernt, erhebt sich der schlummernde Gigant, der mit zu den gefährlichsten Vulkanen der Welt zählt – 1944 verzeichnete die Wissenschaft seinen letzten Ausbruch. Dennoch prägt der Vulkanberg das neapolitanische Stadtbild, ist ein Touristenmagnat und beliebtes Reisemotiv, somit zugleich Segen und Fluch für die Bewohner. Vielleicht wartet Neapel gerade deshalb mit einer so hohen Kirchendichte auf, um sich göttlichen Beistand vor der allgegenwärtigen, lauernden Naturgewalt zu erbeten. L’arte di vivere, Die Kunst zu leben – ein Drahtseilakt zwischen Naturgewalt und Verbrechensorganisation, nirgendwo wird diese Herausforderung anschaulicher zelebriert als in Neapel, denn hier ist Genießen Teil der Lebenskunst. In diesem Sinne wurde L’arte del Pizzaiuolo, die Kunst des neapolitanischen Pizzabackens, 2017 zum UNESCO Kulturerbe erklärt. Daher kommt es nicht von ungefähr, dass Neapel mit Stolz den Beinamen „Wiege der Pizza“ trägt. Angeblich werden hier die besten Pizzen der Welt gebacken – minimalistisch mit Tomatensauce, Mozzarella und Basilikum, ganz in Rot-Weiß-Grün gehalten, repräsentiert sie die Farben der italienischen Flagge. Bedarf es da noch stärkerer Argumente, um der italienischen Kulturstadt einen Besuch abzustatten?



Arrivare
Ende Februar planen wir einen Städtetrip nach Neapel. Dank günstiger Direktflüge rückt Neapel, der geschichtsträchtige Nabel der Welt, in greifbare Nähe. Wir gastieren in einem schmucken Airbnb-Apartment, im Stadtteil Vomero, ehemaliges Villenviertel. Dank seiner exponierten Hügellage und quasi direkt neben dem Castel Sant’Elmo gelegen, schweift der Blick in weite Ferne, über Meer, Stadt, Vesuv und den Golf von Neapel. In unmittelbarer Nähe befindet sich ein Treppenweg welcher gut konditionierte Besucher mit Ober- und Unterstadt verbindet. Alternativ dazu bietet sich auch die Seilbahn an. Da unsere Ankunft zeitlich mit dem Apéro zusammenfällt, folgen wir dem Tipp unseres Gastgebers und besuchen die Enoteca Belledonne. Eine authentische Bar mit ausgezeichnetem regionalen Wein, welche praktischerweise mit einer großen Auswahl an gratis Fingerfood, wie es zur Stunde des Apéro in Italien üblich ist, aufwartet. Weinseelig endet der erste Abend.
Visita della città
Am nächsten Tag starten wir gestärkt mit Caffè e Biscotti in den sonnigen Tag. Erklärend dazu: in Italien gibt es kein klassisches üppiges Frühstück wie es in unseren Breitengraden üblich ist! Ein starker Caffè oder ein Cappuccino sind in Italien für den Start in den Tag Standard. Dazu werden zuckerhaltige Kalorienbomben gereicht, wie etwa biscotti, im Idealfall wird das Frühstück im Stehen am Tresen eingenommen. In gut 20minütigem Fußmarsch, der salita petraio folgend, erreichen wir die Unterstadt in Richtung Quartieri Spagnoli. Die ersten Eindrücke der Stadt erschließen sich uns – enge, versiffte Gassen, frischgewaschene Wäsche flattert an den von Haus zu Haus gespannten Wäscheleinen, die vorüberknatternden Roller erfüllen die Luft mit Abgasdüften, dazwischen streunende Hunde und lautstark telefonierende Italiener. Keine Hektik, nur organisiertes, aufeinander abgestimmtes Chaos. Dem dichten Netz des Gassengewirrs folgend, erreichen wir schließlich die Via Francesco Caracciolo, die Meerespromenade. Beim Flanieren entlang der Uferpromenade, präsentiert sich uns ein spektakuläres Panorama – imposant erhebt sich der Vesuv vor einem strahlenden Horizont, die Krateröffnung von einem Wolkenschleier umspielt. Wir folgen der Meeresstraße, die nun in die Via Partenope mündet, besichtigen die dem Meer vorgelagerte Festung Castel dell`Ovo, eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten Neapels und neben dem Vesuv, eines der beliebtesten Fotomotive. Hier wird die Antike wieder greifbar. Wir lassen uns den Wind um die Ohren blasen und richten unseren Blick in die Ferne, über das sich kräuselnde Meer des Golfs von Neapel. Bei klaren Wetterverhältnissen erkennt man mühelos die vorgelagerten Inseln Procida, Ischia und Capri. Anbei sei erwähnt, dass die Insel Procida auch als Filmkulisse für die Dreharbeiten von Il postino, fungierte – eine Adaptation des chilenischen Romans von Antonio Skármeta, mit einer meiner Lieblingsfilme! Nach wenigen Minuten öffnet sich zu unserer Linken die Uferpromenade und vor uns liegt die Plaza Plebiscito, Platz der Volksabstimmung, mein persönliches architektonisches Highlight! Der größte Platz Neapels mit seinen Marmorsäulen, Kuppeln, Skulpturen und Arkadengängen wirkt imposant, wie er das Sonnenlicht in seinem Zentrum bündelt. Wir drehen uns einmal um die eigene Achse um das volle Ausmaß seiner Schönheit betrachten zu können. Auf der gegenüberliegenden Seite der Plaza befindet sich das Museo Palazzo Reale, das Museum des Königspalastes, gleich dahinter liegt das Teatro S. Carlo. Einige Cafés reihen sich entlang der Arkadengänge und so lassen wir uns bei einem Glas Aperol Sprizz von der Sonne küssen und überlassen uns der antiken Atmosphäre.

Die Spaccanapoli, die Spalterin Neapels
Weiter geht´s auf der Spaccanapoli, einer quer verlaufenden Straßenachse die mehrere Viertel in sich vereint: vom Quartieri Spagnoli bis ins Camorra-Viertel Forcella. In ihrem Fortgang, greifen unterschiedliche Straßenabschnitte ineinander: Sie nimmt ihren Anfang in der Via Pascquale Scura, führt weiter entlang des Marktviertels Pignasecca, folgt den belebten Straßen der Via Toledo, der Via Maddaloni, der Via Benedetto Croce und endet schließlich mit der Via San Biagio dei Librai. Hier gehen uns die Augen über, so viele Eindrücke gilt es zu sammeln – Impressionen über Impressionen: Kirchen, quirliges Menschengetümmel, blinkende Reklametafeln, mit Graffiti gesprayte alte Häuserwände, enge Seitengassen, ein Parcours an parkenden Vespas, Vitrinen voll kulinarischer Köstlichkeiten, Verkaufsstände mit Grippenfiguren (sogar der Papst ist als Holzexamplar erhältlich) und natürlich die Widersprüchlichkeit eines gewissen Flairs der ästhetischen Unsauberkeit, welches der Stadt unwillkürlich anhaftet. Patina oder – mit Reminiszenzen einer vorangegangenen Epoche, wie passend, dass wir mitten im Getümmel auf einen Antiquitätenmarkt treffen. Ich bin beeindruckt ob der Vielfältigkeit der Stadt. Den Abend lassen wir gemütlich und auf italienische Manier ausklingen – mit einem Apéro! Die Stunde des Apéro ist mir ein liebgewordenes und heiliges Ritual, dass sich als solches in seiner Authentizität nur in Italien zelebrieren lässt. Zu den großzügig bemessenen Getränken wird stets eine Portion Chips und Kräcker, Taralli – ein gekringeltes Knabbergepäck aus Apulien, (die für mich besten Kräcker der Welt) serviert.



Die antike Ruinenstätte Pompeji
Wer nach Neapel reist, der sollte einen Besuch der antiken Ruinenstadt Pompeji unbedingt auf seine Liste setzen! Die Erschließung des weitläufigen Areals benötigt gut mehrere Stunden und ist daher als Tagesprogramm gut organisierbar. Die Ausgrabungen erreicht man am Einfachsten von Neapel aus mit der Regionalbahn Circumvesuviana in ca. einer halben Stunde. Die Abfahrt befindet sich am Hauptbahnhof an der Piazza Garibaldi. Die Fahrt endet an der Stazione Pompei/Villa dei Misteri. Die Ausgrabungen sind über drei Eingänge erreichbar: Porta Marina, Porta Esedra und Piazza Anfiteatro. Die antike Stadt wurde beim Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 n. Chr. gänzlich verschüttet, die Struktur der Stadt konnte jedoch aufgrund der Vulkanasche weitestgehend konserviert werden und die Straßen, Plätze, Häuser und Wasserversorgungsstellen somit erhalten bleiben. Das Straßennetz führt über holprige Steinwege, direkt in die unterschiedlichen Wohnviertel. Ein Plan hilft bei der Erschließung der selbigen. Die antike Geschichte wird greifbar nahe, man bekommt einen guten Einblick in die Lebensumstände sowie der architektonischen Bauweise jener Zeit. Dank der Ausgrabungsarbeiten, ist es den Archäologen gelungen, tierische und menschliche Überreste im erstarrten Gestein mittels Gipsabgüssen zu bewahren. Obwohl ich es vom geschichtlichen Standpunkt aus für sehr Lehrreich erachte, fühle ich mich dennoch sehr deprimiert beim Betrachten der erstarrten Körper. Überhaupt ist es schier unfassbar, dass dieses einzigartige Konstrukt dem Untergang geweiht wurde. Besonders beeindruckend für mich, ist das guterhaltene Amphitheater an der Via della Fortuna. Mehrere Stunden dauert es, bis wir so ziemlich die gesamte Ausgrabungsstätte besichtigt haben. Ein wirklich lohnender und zeitintensiver Tagesausflug!
Tipp: Auf der offiziellen Homepage gibt es eine gut strukturierte Übersicht über das Ausgrabungsareal, sowie Preisangaben, Öffnungszeiten, Führungen und den Ticket-Onlineverkauf



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