Der Zeitpunkt, an dem ich zum ersten Mal ernsthaft über eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela nachdachte, lässt sich aus heutiger Sicht nicht mehr genau rekonstruieren. Fest steht nur, dass mein Studium der Hispanistik und der damit verbundene kulturhistorische Aspekt mit Sicherheit eine tragende Rolle gespielt haben. Als dann die ersten Reiseberichte in den Medien kursierten (Paulo Coelho, Shirley McLain, Harpe Kerkeling, etc.) und die Allgemeinheit sukzessive gefallen an der Pilgerei entwickelte, musste wohl auch bei mir der Stein des Anstoßes losgetreten worden sein. Bereits 2016, nach meinem halbjährigen Studienaufenthalt in Salamanca, war ich Drauf und Dran meine Idee zu realisieren. Leider spielten damals die Rahmenbedingungen nicht mit und somit vertagte ich meine Unternehmung auf das Jahr 2018. Dieses magische Datum sollte einen markanten Wendepunkt in meinem Leben markieren – Zeitpunkt meines 35. Geburtstages und geplantes Ende meines Masterstudiums, sprich: Auszeit und Neuorientierung.
Von einer fixen Idee bis zu deren Umsetzung trennten mich bloß der Erwerb der Grundausrüstung (Rucksack, Wanderschuhe, Reiseführer, etc.). Ich fasste im Geiste ein Reisemonat ins Auge (September), buchte ein One-Way-Ticket und verbrachte von da an den größten Teil meiner Freizeit auf Wanderausflügen in Österreich. Tatkräftige Unterstützung erhielt ich stets von meinem Mann, der mit mir Wanderrouten auswählte, das Seinige zum Equipment beisteuerte und mich des Öfteren auf meinen Ausflügen begleitete. Während besagter Vorbereitungszeit entwickelte ich zusehends Gefallen daran, meine Masterarbeit dem Thema „Pilgern“ zu widmen um somit mein Unterfangen auch in akademischer Hinsicht rechtfertigen zu können. Das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden – oder so…Ist Pilgern überhaupt angenehm???
Ich hatte unzählige Erfahrungsberichte gelesen und war jedes Mal zutiefst gerührt ob der emotionalen Kenntniserlangung, welche die Pilgerreise bei den Einzelnen auslöste. Ich wollte eine individuelle Pilgerreise erleben – eine, die meiner Persönlichkeit entsprach! Also nicht nur einen Gewaltmarsch hinlegen und im Büßerdasein verweilen, sondern auch kulturelle Eindrücke sammeln. Deshalb war es mir wichtig, längere Aufenthalte in besonders reizvollen Städten schon vorab zu kalkulieren. Ich wollte auch ein bisschen Tourigrino sein (Tourist + Pilger), gut essen, hervorragenden Wein trinken, die Augen füllen, sprich – Impressionen sammeln und mich an der schönen Landschaft Spaniens erfreuen.
Ich hatte die Etappeneinteilung meines Reiseführers sozusagen verinnerlicht, fühlte mich körperlich hinreichend trainiert, hatte mich mit der Historie vertraut gemacht und einzelne Unterkünfte (Herbergen, Hostels), welche besonderes Lob in den unzähligen Foren erhalten hatten, vorsorglich notiert. Für die erste Woche meiner Pilgerreise hatte ich aus reiner Vorsichtsmaßnahme heraus reserviert – ich wollte jeglichen Stress vermeiden indem ich mich von Etappe zu Etappe hetzen sollte, um nur ja ein freies Bett zu ergattern (Berichte wie diese haben mich diesbezüglich sehr hellhörig werden lassen).
Für mich und nur mit mir sein zu können, alleine eine mehrwöchige Reise am Camino zu unternehmen, meine Habseligkeiten auf ein Minimum reduzieren und dabei mein geliebtes Spanien hautnah erleben – dies entsprach meiner Grundeinstellung. Ich hatte eine konkrete Erwartungshaltung bezüglich meiner Pilgerreise und kann im Nachhinein feststellen – die Reise hat all meine Erwartungen übertroffen!!