Ich stehe kurz vor Mittag auf dem Bahnhof von Hendaye. Nervös bis in die Zehenspitzen, gibt es nur eine vernünftige Lösung: ein Glas Wein. In dem kleinen Café vor dem Bahnhof bekommt man ein anständiges Glas Rosé. ¡Salud! Auf deine Reise, mein Schatz! Ich spüre schon den Kloß in meinem Hals, während mir mein Mann aufmunternd zuprostet…Ich hasse Abschiedsszenen – besonders auf Bahnhöfen oder Flughäfen und wie immer, immer, immer werde ich heulen müssen… Nicht einmal der Wein schafft es heute, meine Nerven herunterzufahren. Abschied für viele Wochen! Naja, nur für knapp zwei Wochen, denn zu diesem Zeitpunkt plane ich meine Ankunft in der Stadt Burgos, nach über 200 km zurückgelegter Wegstrecke. Hier wollen wir uns treffen, um den Geburtstag meines Mannes zu feiern, danach geht es für mich wieder alleine weiter.
Nun ist es soweit, ich wuchte meinen Rucksack auf die Schultern, verstaue meine Wanderstöcke, verberge meinen leidenden Gesichtsausdruck hinter der Sonnenbrille und ziehe mir meinen gelben Hut tief ins Gesicht, denn die ersten Tränen drücken bereits verdächtig. Wir begeben uns zu den Abfahrtsgleisen. Der Zug nach Bayonne steht schon bereit und mir bleiben nur noch wenige Augenblicke, um meinen Schatz zu umarmen. Ich beginne, wie ein Baby zu flennen. Aber das brauche ich jetzt – die Anspannung muss weichen und sowieso ertränkt jede nicht geweinte Träne das Herz, sagt man – also, auf die Schleusen! Ein letzter Kuss, mein allererster Pilgergruß „¡Buen Camino!, mein Schatz“ und ich stehe im Zug. Die Türen schließen sich, langsam kommt der Zug ins Rollen. Immer kleiner wird die Silhouette meines Mannes am leeren Bahnhof. Wir winken einander zu. Heiße Tränen laufen mir über die Wangen, dann atme ich tief durch und beruhige mich. Auf meinem Platz angekommen, hole ich sofort mein Reisetagebuch hervor und notiere meine Gedanken. Schon nach kurzer Zeit merke ich, wie ich mich wieder sicherer fühle. Das Schreiben beruhigt mich. Der Zug fährt und nichts liegt mehr in meiner Hand, ich kann gar nichts mehr tun, nur abwarten und ankommen. Die Pilgerreise hat begonnen! In einer Stunde werde ich Bayonne erreichen und von dort aus, nach einer weiteren Stunde Fahrzeit, endlich in Saint Jean Pied de Port, dem kleinen Städtchen zu Fuße der Pyrenäen, ankommen. Hier startet offiziell der Camino Francés, der authentische Pilgerweg über die Berge Frankreichs nach Spanien.