Am Bahnhof von Bayonne angekommen, setze ich mich zu allererst einmal in die warme Sonne. Durchatmen, mehr oder weniger, denn das Thermometer zeigt heiße 31° C an…Einerseits angenehm, andererseits befällt mich eine böse Vorahnung ob der bevorstehenden 1. Etappe morgen früh…schwerer Rucksack, Überquerung der Pyrenäen auf einer Höhe von 1400 Meter, plus Hitze?? Während ich vor mich hin grüble, beobachte ich das Geschehen um mich herum: Pilger, soweit das Auge reicht! Wird das jetzt immer so sein, die nächsten Wochen? Wie viele dieser Pilger werden es tatsächlich bis nach Santiago de Compostela schaffen? Neugierig betrachte ich das Equipment der anderen Reisenden. Einer von ihnen hat eine Kamera an seinem Rucksack montiert und filmt ungeniert die Wartenden in der Bahnhofshalle. Aha, verspricht ja interessant zu werden. Ich frage mich, was da wohl noch für Freaks im Laufe meiner Reise auftauchen werden!? Andererseits, gefundenes Fressen für die Themenstellung meiner Masterarbeit – Pilgeridentitäten!!!
Endlich fährt der Zug ein und der Run auf die freiwählbaren Plätze kann beginnen. Ich quetsche mich neben eine Blonde direkt neben der Türe, wieder wandert mein Blick beobachtend in die Runde. Ich fühle mich seltsam. Es ist eng und überfüllt. Außer Pilger gibt es keine anderen Mitfahrenden. So nah auf engem Raum beieinander zu sitzen ist etwas befremdlich – schon wieder ein Vorgefühl ob der nächsten Wochen im kollektiven Pilgerwahn? Wir erreichen am späten Nachmittag unser Ziel. Die Bedenken, ob ich den Weg in die Stadt und zu meiner Unterkunft auf Anhieb finden würde, kann ich getrost beiseiteschieben. Ein Stadtplan ist unnötig, man folge einfach dem Rudel.
Die Stadt ist klein und schnuckelig, sehr übersichtlich. Ohne Probleme gelange ich zu meinem reservierten Zimmer (ich möchte mich nicht schon am Anreisetag mit der harten Realität eines Gemeinschaftsbades konfrontiert sehen). Von meinem Gastgeber Luis werde ich freundlich empfangen. Wir beginnen unsere Unterhaltung auf Englisch, wechseln aber schnell ins Spanische – immerhin ist das DIE Gelegenheit endlich wieder meine Sprachkenntnisse auf Vordermann zu bringen. Er erklärt mir, wo ich das Pilgerbüro finde, damit ich meinen credencial de peregrino, meinen Pilgerausweis, abholen kann. Dann zeigt er mir mein Privatzimmer – Der liebevoll ausgebaute Dachboden à la rustic-chic, etwas verstaubt und mit Spinnweben, ein großes Bett, ein kleiner Balkon mit Blick auf die Berglandschaft und natürlich ein eigenes Badezimmer! Herz, was willst du mehr?!
Kurz darauf marschiere ich zum Pilgerbüro in der Rue de la Citadelle 39. Auf dem Weg dorthin fällt mir auf, dass die unzähligen Herbergen alle mit „Fully booked“ beschildert sind. Scheinbar befinde ich mich in der Pilger- Hochsaison! Das wird mir dann auch gleich im Pilgerbüro bestätigt. An Massenabfertigung erinnernd, stehen mehrere Schreibtische aneinandergereiht. Hinweisschilder informieren darüber, welche Sprachen im Repertoire stehen: Englisch, Spanisch, Französisch, Japanisch. Ich bekomme eine lustlos heruntergeleierte Information auf Englisch bezüglich der Passüberquerung über die Pyrenäen, dazu ein handgezeichneter Plan samt Herbergenverzeichnis. Für statistische Erhebungen muss ich meine Nationalität angeben. Danach wird mir mein Pilgerausweis ausgestellt und gestempelt – fertig die Geschichte! Ab jetzt muss ich täglich „stempeln“ gehen, denn der sello, der Pilgerstempel gilt als Nachweiskriterium für die zurückgelegte Wegstrecke bis nach Santiago. Nach mir drängen sich schon die nächsten Wartenden ins enge Büro. Ich hole mir noch eine Pilgermuschel, das unverkennbare Zeichen der Jakobspilger und schlendere eine wenig verloren durch die mittelalterliche Altstadtgasse. Was nun? Es bleibt mir noch genug Zeit bis zum Abend und so beschließe ich, eine kleine Stadtrunde zu drehen und ein wenig zu fotografieren. Ich suche die Stelle auf, an der mich der Weg morgen früh aus der Stadt führen wird, danach besorge ich mir einen Proviant für den morgigen Aufstieg. Ich bin schon wieder richtig nervös und hoffe inständig, dass ich gut schlafen werde um die erste Etappe bewältigen zu können. Ein Gläschen französischen Rotweins muss her! Ich setze mich in ein kleines Café, studiere erneut den Reiseführer und genieße dabei ein Gläschen Wein in der Abendsonne. Wie seltsam das Leben spielt – gestern noch saß ich mit meinem Mann in Spanien am Meer, jetzt bin ich alleine in Frankreich. Nach und nach trudeln die ersten SMS ein – meine Familie und Freunde denken an mich, haben mir ihre schönsten und ehrlichsten Wünsche mit auf den Weg geschickt, alle fiebern im Geiste mit mir mit! Nein, Romana, du darfst dich nicht schon wieder vor dem morgigen Tag fürchten! Du schaffst das, irgendwie wirst du schon diesen scheiß äh.. schönen Berg bezwingen…
Zurück in meiner Unterkunft, sehe ich mir den Sonnenuntergang von meinem kleinen Balkon aus an. Luis hat mir einen Tee zubereitet mit den Kräutern aus seinem Garten. Für die Nerven, hat er gesagt, mit einem Augenzwinkern. Scheinbar steht mir meine Anspannung ins Gesicht geschrieben. Er schlägt mir vor, den Rucksack doch mit dem Transportservice nach Roncesvalles, meinem morgigen Ziel, schicken zu lassen. Wie bitte, ich denke, ich höre nicht recht!!! Den Rucksack transportieren lassen??? Wie unpilgerhaft!!! Wirke ich etwa wie eine Lusche?? Ich bin zwar klein und zierlich aber auch zäh – ein „Zaches Weiberleit“, wie mir meine liebe Schwiegermama versichert hat!! Nicht im Traum wäre ich auf den Gedanken gekommen, mich so mir nichts, dir nichts der Bürde meines Rucksackes zu entledigen!!! Mein Rucksack, das bin ich! Entsetzt schüttle ich den Kopf! Nein danke, ich reise mit Würde und trage meinen Rucksack natürlich selbst! In dem Moment bin voll der Zuversicht – ich fühle mich bereit fürs große Hatschen!