Der Berg ruft! Es ist 6:30 Uhr in der Früh, der Wecker läutet und ich weiß, was mir heute bevorstehen wird: die Querung der Pyrenäen. Ich hatte eine sehr kurze und durchwachsene Nacht, da ich aus Nervosität nur bedingt Schlaf fand. Einen Blick von meinem Balkon aus auf die Landschaft geworfen, verspricht es ein klarer und heißer Tag zu werden. Luis bereitet mir noch ein deftiges Frühstück zu, um meine Energietanks auf volle Touren zu bringen. Dennoch bekomme ich nur aus Höflichkeit ein paar Bissen hinunter. Zu groß ist die Anspannung und ich möchte jetzt endlich losstarten. Um 8 Uhr verlasse ich mit pochendem Herzen meine Unterkunft und kaum trete ich aus der Türe, ziehen die Pilgerströme an mir vorüber. Ich hätte nicht im Traum mit SO VIELEN Mitpilgern gerechnet. Also reihe ich mich ein in die Massenbewegung und versuche meinen Rhythmus zu finden – ich wandere tatsächlich auf dem Jakobswegs!!!!!! Meine ersten Schritte Richtung Santiago de Compostela, (m)ein historischer Augenblick, denke ich triumphierend.
Nach einer halben Stunde führt der Weg kontinuierlich bergauf und die Sonne steigt höher. Es ist warm, sehr warm, eigentlich viel zu warm und das lässt die erste Etappe zur körperlichen Bewehrungsprobe mutieren. Unzählige Pilger starten wohl heute mit mir los, man ist keinen Moment alleine. Vor mir sind Pilger, direkt neben mir ebenso, ein anderer klebt mir an den Fersen – ich fühle mich eingeengt. Ich bin so damit beschäftigt, den Blick auf meine Füße zu richten um nur ja keinen falschen Schritt gleich zu Beginn meiner Pilgerreise zu setzen. Das fehlt noch – knock out am 1. Tag!! Viele der Pilger haben sich bereits in Gruppen zusammengefunden oder laufen paarweise. Man überholt oder lässt überholen. Nach 8 km erreiche ich das Örtchen Orisson, die letzte Raststation samt Herberge bevor der Weg den Pass hinaufführt. Die Schlange vor dem Klo ist elendslange, aber das ist wohl Teil des Pilgerkonzeptes. Die nächsten Stunden wird es keine Möglichkeit mehr geben sich mal kurz wo „hinzuhocken“, denn der Weg führt in Serpentinen stetig bergauf – kein Baum, kein Schatten in Sicht. Nur Sonne, Sonne, Sonne vor einem glasklaren Himmel der es mir erlaubt, meine Blicke über die Täler schweifen zu lassen. Was für eine atemberaubende Berglandschaft! Es grünt so grün – wenn es nur nicht so quälend heiß wäre… Über unseren Köpfen kreisen Adler und leise echoen ihre Schreie zwischen den Bergketten. Ich gehe zügig weiter und mache immer nur kurze Pausen. Um das Gewicht meines Rucksackes zu verringern beginne ich, den unnötigen Ballast meines Proviants zu verzehren. Es misst 30° C und der Schweiß läuft mir über die Stirn. Zum Glück besteht immer die Möglichkeit, die Wasserflaschen an den Trinkbrunnen aufzufüllen und sich zu erfrischen. Um meine müden Füße zu entspannen, ziehe ich immer wieder meine Wanderschuhe aus und gehe barfuß durch die Grünflächen. Einige Pilger liegen bereits erschöpft in der Wiese und halten ein Nickerchen, andere versorgen ihre Blasengeschwülste. Ich traue meinen Augen kaum, was da an aufgeworfener Haut zum Vorschein kommt!! Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass dies genau meiner Alptraumvorstellung einer 1. Etappe entspricht. Ich versuche mich abzulenken und meinen Geist freizumachen, indem ich meinen iPod hervorhole um mich mit Musik vollzudröhnen. Gut abgelenkt übersehe ich sogar die Stelle, an der ich die Spanische Grenze übertrete. Seis drum, heute ist mir schon alles egal, ich will nur endlich in Roncesvalles ankommen!