Jakobsweg,  Spanien

Jakobsweg #5 – Überquerung der Pyrenäen

Von Saint Jean Pied de Port nach Roncesvalles…

Der Berg ruft! Es ist 6:30 Uhr in der Früh, der Wecker läutet und ich weiß, was mir heute bevorstehen wird: die Querung der Pyrenäen. Ich hatte eine sehr kurze und durchwachsene Nacht, da ich aus Nervosität nur bedingt Schlaf fand. Einen Blick von meinem Balkon aus auf die Landschaft geworfen, verspricht es ein klarer und heißer Tag zu werden. Luis bereitet mir noch ein deftiges Frühstück zu, um meine Energietanks auf volle Touren zu bringen. Dennoch bekomme ich nur aus Höflichkeit ein paar Bissen hinunter. Zu groß ist die Anspannung und ich möchte jetzt endlich losstarten. Um 8 Uhr verlasse ich mit pochendem Herzen meine Unterkunft und kaum trete ich aus der Türe, ziehen die Pilgerströme an mir vorüber. Ich hätte nicht im Traum mit SO VIELEN Mitpilgern gerechnet. Also reihe ich mich ein in die Massenbewegung und versuche meinen Rhythmus zu finden – ich wandere tatsächlich auf dem Jakobswegs!!!!!! Meine ersten Schritte Richtung Santiago de Compostela, (m)ein historischer Augenblick, denke ich triumphierend. 

Nach einer halben Stunde führt der Weg kontinuierlich bergauf und die Sonne steigt höher. Es ist warm, sehr warm, eigentlich viel zu warm und das lässt die erste Etappe zur körperlichen Bewehrungsprobe mutieren. Unzählige Pilger starten wohl heute mit mir los, man ist keinen Moment alleine. Vor mir sind Pilger, direkt neben mir ebenso, ein anderer klebt mir an den Fersen – ich fühle mich eingeengt. Ich bin so damit beschäftigt, den Blick auf meine Füße zu richten um nur ja keinen falschen Schritt gleich zu Beginn meiner Pilgerreise zu setzen. Das fehlt noch – knock out am 1. Tag!! Viele der Pilger haben sich bereits in Gruppen zusammengefunden oder laufen paarweise. Man überholt oder lässt überholen. Nach 8 km erreiche ich das Örtchen Orisson, die letzte Raststation samt Herberge bevor der Weg den Pass hinaufführt. Die Schlange vor dem Klo ist elendslange, aber das ist wohl Teil des Pilgerkonzeptes. Die nächsten Stunden wird es keine Möglichkeit mehr geben sich mal kurz wo „hinzuhocken“, denn der Weg führt in Serpentinen stetig bergauf – kein Baum, kein Schatten in Sicht. Nur Sonne, Sonne, Sonne vor einem glasklaren Himmel der es mir erlaubt, meine Blicke über die Täler schweifen zu lassen. Was für eine atemberaubende Berglandschaft! Es grünt so grün – wenn es nur nicht so quälend heiß wäre… Über unseren Köpfen kreisen Adler und leise echoen ihre Schreie zwischen den Bergketten. Ich gehe zügig weiter und mache immer nur kurze Pausen. Um das Gewicht meines Rucksackes zu verringern beginne ich, den unnötigen Ballast meines Proviants zu verzehren. Es misst 30° C und der Schweiß läuft mir über die Stirn. Zum Glück besteht immer die Möglichkeit, die Wasserflaschen an den Trinkbrunnen aufzufüllen und sich zu erfrischen. Um meine müden Füße zu entspannen, ziehe ich immer wieder meine Wanderschuhe aus und gehe barfuß durch die Grünflächen. Einige Pilger liegen bereits erschöpft in der Wiese und halten ein Nickerchen, andere versorgen ihre Blasengeschwülste. Ich traue meinen Augen kaum, was da an aufgeworfener Haut zum Vorschein kommt!! Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass dies genau meiner Alptraumvorstellung einer 1. Etappe entspricht. Ich versuche mich abzulenken und meinen Geist freizumachen, indem ich meinen iPod hervorhole um mich mit Musik vollzudröhnen. Gut abgelenkt übersehe ich sogar die Stelle, an der ich die Spanische Grenze übertrete. Seis drum, heute ist mir schon alles egal, ich will nur endlich in Roncesvalles ankommen!

Nach vielen Stunden des Büßerpfades erreiche ich endlich den Höchsten Punkt: den Ibañetapass. Von dort aus erblickt man die Kirchturmspitze des Klosters in Roncesvalles. Yuhuu, juble ich innerlich, fast geschafft!!! Aber zu früh gefreut, denn die letzten 4 km kommen mir gefühlt wie Stunden vor. Ewige lange zieht sich die Strecke wie ein Kaugummi dahin. Seit heute weiß ich: Kirchturmspitzen bedeuten nicht gleichzeitig am Ziel angekommen zu sein! Dennoch bin ich froh, dass der Weg ab nun bergab führen wird. Da die umständliche Beschilderung ins Tal für reichlich Verwirrung sorgt, frage ich kurzerhand die Dame zu meiner linken, ob sie mir vielleicht behilflich sein kann. Zum Glück spricht Regina Deutsch, denn mein Hirn ist heute nicht mehr im Stande, einen englischsprachigen Dialog zu führen. Gemeinsam entscheiden wir uns für eine Richtung inmitten des Schildermeeres und überwinden somit plaudernd auch noch die letzten Kilometer der ersten Etappe. Ich rechne nach: etwas mehr als 8 Stunden habe ich benötigt, um knapp 27 km Distanz hinter mich zu bringen. Ich bin ob der Umstände mehr als zufrieden mit meiner heutigen Tagesleistung!
In Roncesvalles angekommen, muss ich meine Unterkunft finden. Wie schlau von mir, in weiser Voraussicht eine Reservierung vorab getätigt zu haben. Die Zahl der Unterkünfte in der kleinen Ortschaft ist nämlich limitiert und ich wollte kein Risiko eingehen, gleich nach meiner ersten Etappe vor vollbelegten Herbergen zu stehen. Daher verschlägt es mir beinahe die Sprache, als ich die lange Schlange wartender Pilger vor der Klosterherberge sehe in die sich jetzt auch Regina einreihen muss. Obwohl die größte Herberge mit über 200 Betten auf 3 Etagen aufwartet, ist bis um 16 Uhr auch das letzte Bett belegt. Unfassbar, ich habe großes Mitleid mit den übrigen erschöpften Pilgern die nun vor die Wahl gestellt werden, weiter zu gehen bis ins nächste Dorf oder auf dem Campingplatz unter freiem Himmel zu übernachten. Alleine die Vorstellung, nach diesen 27 km im Brutkasten weiterzuwandern… 

Nachdem ich frisch geduscht bin und einen starken Café getrunken habe, fühle ich die Lebensgeister wieder zurückkommen. Meine Schultern brennen und ich erkenne klare Spuren eines Sonnenbrandes an der scharf gezogenen Grenze zwischen T-Shirt und nackter Haut. Da ich mich soweit aber wieder fit fühle, besuche ich die Pilgermesse um 18 Uhr in der Abtei von Roncesvalles. Ein berührender Gottesdienst auf Spanisch, bei dem der Priester allen Pilgern den Pilgersegen erteilt. Obwohl ich keine praktizierende Christin bin, ist es mir heute wichtig, der Messe beizuwohnen. Ich fühle mich sonderbar berührt und behütet. All diese Menschen um mich herum, die alle unterwegs sind und dasselbe Ziel vor Augen haben, die nun mit mir Teil einer großen Gemeinschaft geworden sind. Vereinzelt kann ich sogar ein Schniefen und Schluchzen hören. Ja, die Segnung geht unter die Haut! Ich möchte unbedingt noch meine ersten Eindrücke zu Papier bringen und verziehe mich mit einem Glas Rotwein auf die Gemeinschaftsterrasse meiner Unterkunft. Nichts geht über ein schönes Glas Wein um das Ende eines gelungenen Tages zu feiern! Schon bald habe ich Gesellschaft beim Schreiben und ich komme mit ein paar Pilgern ins Gespräch. Alle sind erschöpft von der mühseligen Pyrenäenüberquerung, dennoch tragen sie dieses Leuchten in den Augen – die Vorfreude auf die begonnene Reise. Ich lasse mich noch ein wenig in ein sinnierendes Gespräch über die Freuden der Pilgerei und die bevorstehenden Etappen verstricken, bevor ich um 21:30 Uhr endlich in mein Bett falle.

Mein Weg nach Santiago
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