Heute wird mich meine Etappe bis nach Zubiri führen, nur knapp 23 km! Eigentlich eine sanfte Kilometervorgabe, wenn der Weg nur nicht so steil bergab führen würde…Ich erwache relativ früh, noch vor dem Weckerläuten um 7:00 Uhr. Die kühle Bergluft weht durch das offene Fenster herein, endlich kann ich durchatmen. Ich spüre meinen Körper, die Oberschenkel und die Schultern schmerzen leicht. Nicht gerade motivierend ist daher das Hinweisschild, vor meiner Unterkunft, welches mir die Entfernung bis nach Santiago de Compostela verkündet: Ein Katzensprung von 790 km!!!!!!! Ich denke wehmütig an das Meer und wie angenehm es wäre, einfach nur am Strand zu liegen und nichts zu tun…
Dennoch lasse ich mich nicht so schnell entmutigen, finde schnell zu meinen Rhythmus. Die schnurgerade Wegstrecke führt mich durch einen Wald, vorbei an Wiesen, Bauernhöfen und weidenden Kühen und so geht es zügig dahin, bis ins nächste Dorf. Dank der klaren Morgenluft gelingt das Wandern mühelos. Ich genieße die ersten Eindrücke vom Baskenland, die Arrangements der Häuser – vieles erinnert mich an die ländlichen Regionen in Österreich. Ab 11 Uhr ist jedoch Schluss mit der Idylle und die Sonne waltet wieder unbarmherzig ihres Amtes. Die kommenden 17 km sind eine Qual. Es ist zu heiß und da der Weg kontinuierlich steil bergab führt, ist doppelte Vorsicht geboten. Jeder Schritt muss wohlbedacht gesetzt werden, schwer gewichtet dabei der Rucksack mit seinen 8 kg auf meinen Schultern. Wie gut, dass ich während meiner Pilgerei immer wieder Kurioses und Amüsantes zur Aufmunterung am Wegrand entdecke – so wie die Kiste welche den Pilgernden Liebesglück verspricht (in multilingualer Fassung), wenn sie sich hier eines Teiles ihrer Unterwäsche entledigen.
Der Pilgerweg ist auch heute wieder gut frequentiert und langsam bekomme ich wieder Beklemmungszustände. Bisher hatte ich keine Gelegenheit gefunden, um mich zurückzuziehen, in mich zu gehen, zu sinnieren und all das zu tun, weshalb man sich eigentlich auf eine Pilgerreise begibt… Ich bin genervt und müde – sollte das hier nicht Spaß machen?? Wenn ich könnte, würde ich quengeln wie ein kleines Kind. Definitiv gestaltet sich der Abstieg wesentlich schwieriger als der gestrige Aufstieg. Zerfurchte und aufgebrochene Schieferplatten drosseln das Tempo und so erreiche ich erst nach 15 Uhr die Stadt Zubiri. Bei meiner zuvor reservierten privaten Herberge angekommen, muss ich mich aus meiner durchgeschwitzten Kleidung regelrecht herausschälen. Zum Glück ist noch ein Stockbett direkt neben dem Fenster frei und ich kann meine Wäsche zum Trocknen aufhängen. Die Mehrzahl meiner Mitpilger in der albergue ist männlich. Schnell kommen wir ins Gespräch, denn sie sind Spanier und endlich kann ich so richtig eintauchen in meine hispanophone Welt. Sofort werde ich eingeladen, mit ihnen zusammen etwas essen zu gehen. Ich bin begeistert und freue mich sehr darüber, dass die heutige Etappe doch noch so amüsant endet. Es werden einige Gläschen Wein gekippt, viel gequatscht und gelacht. Mein Spanisch läuft zur Höchstform auf, ich fühle mich wie eine echte „Chica española“ inmitten einer fröhlichen Runde. Zum wiederholten Male lobe ich mir die spanische Sympathie, denn ab sofort werde ich dieser Gruppe junger Männer in der kommenden Woche immer wieder begegnen.
Meine neuen amigos informieren mich darüber, dass wir diese Nacht das Zimmer mit DEM SCHNARCHER, alias Peter aus Deutschland, teilen. Der ist berühmt-berüchtigt für sein Trommelfell-zerreißendes-Geschnarche…Wenig erfreut darüber stelle ich fest, dass besagtes Objekt natürlich den Schlafplatz unter mir belegt hat. So ist das mit den Herbergen! Wie sagte schon Forrest Gump – „Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, welche man kriegt.“ Diese Nacht bekamen wir ein Schnarch-Konzert der besonders feinen Art. Trotz Oropax dringt jedes Gegrunze und Getöse zu mir durch. Den übrigen Pilgern ergeht es nicht anders. Müde und verquollen hängen wir alle daher am nächsten Morgen beim Frühstück in den Seilen. Außer Peter, natürlich, denn der hat tief und fest geschlafen! Wenigstens gelingt es mir diesmal, in rekordverdächtiger Zeit in den Tag zu starten, 6:45 meldet die Uhr. Wir verabschieden uns alle überschwänglich, versprechen einander wiederzusehen und schon bin ich unterwegs – auf nach Pamplona!