Obwohl ich, bedingt durch die letzte Nacht, unausgeschlafen und knatschig bin, finde ich schnell wieder in meinen Rhythmus. Nach zweistündigem Wandern treffe ich zufällig wieder auf Regina und ihre Begleitung aus Luxemburg. Wir fallen uns wie gute alte Freunde um den Hals. Ab jetzt habe ich wieder Reisegesellschaft und durch das Plaudern vergeht die Zeit wie im Flug. Regina, unsere Pilgermama mit robusten 50, besitzt bereits Pilgererfahrung. Sie erzählt uns, dass sie letztes Jahr von Burgos aus auf dem Camino gestartet ist und heuer nur die verabsäumten ersten Etappen nachholen möchte. Sie gibt uns hinreichend Ratschläge für die noch bevorstehenden Etappen, deren Planung, empfiehlt uns Herbergen und warnt auch vor selbigen. Leider wird unser Tempo durch das Quatschen und Tratschen auch langsamer. Einmal verlaufen wir uns sogar, weil wir nicht mehr auf die gelben Pfeile achten sondern blind dem Rudel vor uns folgen. Auch heute kommen wir wieder schön in die Mittagshitze hinein. Obwohl ich Spanien schon sehr oft bereist habe, war mir bei meiner Reiseplanung niemals in den Sinn gekommen, dass das Wetter in Spanien im September vergleichbare Temperaturen mit sich bringt wie etwa der Juli in Österreich – vor allem in den Bergregionen nicht! Erschöpft und Durchgeschwitzt lassen wir uns in einer Raststation nieder. Die Schlange vor dem einzigen Klo ist wiedermal megalange. Während ich warte, verwickelt mich die asiatische Pilgerin hinter mir in ein Gespräch – wer bist du, von wo kommst du, wohin gehst du, wie weit gehst du, usw. Der Standard-Small Talk eben. Sie erzählt mir, dass sie mit ihrer Reisegruppe nur bis nach Pamplona pilgern wird. Aha, naja wenigstens besteht die Chance, dass der Pilgerstrom ab Pamplona dann etwas eingedämmt wird…
Es geht weiter, bergauf und bergab, eine gefühlte Ewigkeit lang. So langsam entwickle ich Antipathien gegenüber dem bergigen Baskenland. Als wir endlich in den Vorbezirken von Pamplona ankommen zeigt das Thermometer heiße 33° C an, auf meinem Kopf könnte man mittlerweile ein Spiegelei braten. Ich habe vor Reiseantritt lange Zeit überlegt, ob ich in der Stadt Pamplona eine Pause einplanen möchte. Zu gerne würde ich mir mehr Zeit nehmen, um Hemingways Stadt der Sanfermines und der corrida de toros, des polarisierenden Paradestierkampfes quer durch die Altstadt, genauer zu erkunden. Andererseits möchte ich aber nicht schon nach dreitägiger Pilgerreise eine Pause einlegen…also weiter wandern!
Während der Siesta erreichen wir endlich die Stadtmauern. Mit Google maps hantiere ich herum, in dem Bemühen, meine Unterkunft zu finden. Die Stadt ist größer als erwartet und so vergeht nochmal eine halbe Stunde mit Herumirren. Währenddessen lerne ich Jenny kennen, die mir zum Glück bei meiner Suche behilflich ist. Das Aloha Hostel ist eine Oase inmitten der Stadt – saubere und helle Räume, ein gemütlicher, begrünter Außenbereich, hohe Decken in den Schlafsälen. Mittlerweile ist es bereits später Nachmittag und ich möchte so gerne eine paar Impressionen sammeln. Ich verabrede mich mit der Pilgermama und lade noch eine deutsche Zimmergenossin ein, mit uns mitzukommen.
Wenn man in Pamplona ist, dann sollte man unbedingt eine der zahllosen Pintxobars ansteuern. Pintxos, das sind kleine kulinarische Häppchen, mittels Holzstäbchen zusammengehalten, vergleichbar mit den Tapas, nur viel raffinierter in ihrer Herstellung, einfach göttlich! Es ist eine regelrechte Qual vor der Theke stehend eine Auswahl zu treffen, so köstlich mutet jeder kleine Bissen an. Die Spanier genießen ihre Pintxos in Weinbegleitung, direkt an der Bar und werfen dabei die Stäbchen einfach auf den Boden – je saumäßiger der Boden einer Bar aussieht, umso besser! Ein untrügliches Zeichen dafür, dass das Essen hier fabelhalt schmeckt! Doch meine deutschsprachigen Mitpilgerinnen wollen sich nicht so recht in das spanische Ambiente einfügen…zu schmutzig, stehen beim Essen geht gar nicht, ohne Besteck sowieso undenkbar und – wo ist hier überhaupt der Salat??? ¡Madre mia! Wo bin ich hier nur hineingeraten?? Also setzen wir uns wie die typischen Touristen an einen Tisch. Nach dem Essen verlasse ich die kleine Damenrunde flugs – nein, ich will mich nicht verbiegen, ich will SPANISCH leben und in grindigen Bars an der Theke stehend essen und trinken und mich dabei mit dem Kellner unterhalten! Also ziehe ich alleine los, durchforste die Altstadtgassen, flaniere über die Plaza Mayor und treffe, oh Zufall, wieder meine spanische Männerrunde vom vorigen Tag. Was für ein überwältigendes Gefühl, alleine durch eine fremde Stadt zu spazieren und plötzlich bekannte Gesichter zu entdecken! Ich fühle mich, als wäre ich niemals alleine auf dem Jakobsweg, als hätte ich bereits ein großes Netz an Freundschaften um mich gespannt! In diesem Moment bin ich zutiefst glücklich, auf dem Camino wandern zu können und all diese Menschen kennenlernen zu dürfen.