Jakobsweg,  Spanien

Jakobsweg #10 – “In vino veritas, in aqua sanitas”

Die Weinregion La Rioja

Heute Morgen heißt es für mich Abschiednehmen – meine Pilgermama tritt ihre Heimreise an. So ist das Pilgerleben, ein ständiges Kommen und Gehen. Eine freundschaftliche Umarmung, das Versprechen, einander im realen Leben wiederzusehen sowie ein letztes ¡Bueno Camino! und ich bin dahin. Mit Wehmut in der Brust, führt mich meine Reise nun wieder auf Solopfaden quer durch Spanien. Gesellschaft zu haben ist wunderbar, dennoch freue ich mich auch über die Momente, die ich nur mit mir selbst teilen kann. Das Pilgerdasein ist geprägt, durch die Begegnungen mit Menschen und zwanglosen Gesprächen. Die anfängliche Befremdlichkeit des sich Annäherns ist mittlerweile aufgebrochen. Es fällt mir ganz leicht, mit mir völlig Unbekannten, ins Gespräch zu kommen! Vielleicht liegt das auch daran, dass ich nicht Zwanghaft Anschluss suche, sondern richtig froh darüber bin, mit niemandem reden zu müssen! Und sowieso hat mir ja der Weg bisher immer genau die richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt geschickt! Denn wie sagte meine Pilgermama so schön – Der Weg gibt dir immer genau das was du brauchst! (Ab sofort mein persönliches Pilger-Credo).

Heute werde ich endlich Spaniens berühmteste Weinregion, La Rioja erreichen! Das Highlight des Tages erschließt sich mir schon nach einer halben Stunde Gehzeit – la fuente del vino, der Weinbrunnen der Bodega Irache, die wohl bekannteste Bodega im Weingebiet Navarras, am Fuße des Montejurra gelegen. Hier dürfen sich die Pilger gratis mit einem Schluck Wein aus dem Trinkbrunnen der selbigen Kellerei selbst bedienen. Natürlich wird dem Durstigen auch Wasser dargereicht – erstaunlich wenige Pilger haben heute Morgen jedoch davon Gebrauch gemacht J Für alle Weininteressierten öffnet das direkt anschließende Weinmuseum ab 9:00 Uhr seine Pforten, ebenfalls können Besichtigungen desselbigen Weingutes gebucht werden. Laut Reiseführer sollte man sich schon recht früh des Tages zu besagten Brunnen aufmachen, denn der ein oder andere Schluckspecht zapft schon mal gerne eine gesamte Trinkflasche voll gratis Wein ab. Dementsprechend groß ist auch der Andrang – wie immer wenn es etwas umsonst gibt! So zeitig am Morgen steht mir zwar noch nicht der Sinn nach Alkohol, dennoch wäre es meiner Ansicht nach jammerschade, sich diese Gelegenheit entgehen zu lassen – Spaßfaktor muss sein! Also reihe ich mich ein in die wartende Schlange und zapfe dann auch brav ein bisschen Wein ab. In der Früh schon saufen – so viel zum Thema spirituelle Reise!!! Leider entspricht der Wein – oh Wunder – nicht wirklich der allgemeinen hohen Erwartungen. Hier wird definitiv keine Crianza zur freien Entnahme offeriert. Dennoch finde ich die Idee mit dem Weinbrunnen sehr gelungen und in jedem Fall werbewirksam inszeniert!

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Der Camino führt mich entlang der Weinberge weiter, eine Bodega nach der anderen folgt. Obwohl mich mein lädierter Fuß in meiner Geschwindigkeit drosselt, bin ich gedanklich schon weit abgedriftet. Die rote Erde, der blaue Himmel und die saftigen Weinreben bilden einen abwechslungsreichen Kontrast. Schwer hängen die schon reifen, purpurnen Weintrauben an den Reben. Wäre ich ein wenig später des Monats auf dem Jakobsweg gestartet, hätte ich mit Sicherheit die Weinernte miterleben können. Seltsame silberfarbene Würmer erkämpfen sich ihren Weg durch die rote Erde und ich muss achtgeben, nicht den ein oder anderen mit meinem Wanderstock aufzuspießen. Erstaunlicherweise gibt es heute auch viele Streckenabschnitte, an denen ich ganz alleine wandere – keine anderen Pilger vor oder hinter mir in Sicht, ob denen wohl aufgrund des Weinkonsums die Puste ausgegangen ist? Meine spanischen Pilgerfreunde haben mir schon vor einigen Tagen verkündet, dass sie in Logroño, der Hauptstadt der Rioja, ihre Heimreise antreten werden. Wird der Camino tatsächlich ein wenig ruhiger? Ich beobachte heute vor allem viele Radfahrpilger! Da die Wege jetzt ebener geworden sind, müssen sie nicht mehr auf die Bundesstraße ausweichen und können auf den „normalen“ Strecken weiterfahren. Mit dem Fahrrad durch die Weinberge zu brausen würde mir auch gefallen! Die Radfahrer wirken alle sehr athletisch und ich stelle mir vor, wie mühsam sich wohl die Streckenabschnitte gestalten, an denen es durchs Gelände bergauf und bergab geht…Definitiv nicht die einfachere Variante der Pilgerreise, dafür benötigen sie kein ganzes Monat um 800 km zu bewältigen und den Rucksack müssen sie auch nicht auf ihren Schultern tragen, sinniere ich vor mich hin…

Da mich mein Fuß noch immer quält, beschließe ich, meine Etappe heute in Los Arcos, ein unscheinbares Mikrodorf, zu beenden – heute ist definitiv nicht der Höhepunkt meiner Kondition. In der Sonne liegen, vor mich hindösen und lesen, nach mehr steht mir heute einfach nicht der Sinn. Da ich schon relativ früh des Tages mein Ziel erreiche, stehen jede Menge verfügbarer Unterkünfte bereit. Eine menschleere Plaza Mayor, steuere ich die einzige verfügbare Lokalität an und erlebe hier mein absolutes Preis-Leistungs-Wunder: ein Glas Wein für 1,20 Euro, ja RICHTIG gelesen!!! Der Weg gibt mir was ich brauche, denke ich amüsiert. Günstigen und guten Wein! Ich beglückwünsche mich selbst zu der grandiosen Entscheidung, hier Quartier bezogen zu haben und lobe mir die Weinregion!

“El vino, mientras más se envejece, 
más calor tiene: al contrario de nuestra naturaleza,
 que mientras más vive, más se va enfriando.” 
Lope de Vega

Frei übersetzt: je reifer der Wein wird, umso mehr Wärme entwickelt er: im Gegensatz zur menschlichen Natur, die, je älter sie wird, umso mehr Kälte entwickelt.

Mein Weg nach Santiago
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