Der Camino führt mich entlang der Weinberge weiter, eine Bodega nach der anderen folgt. Obwohl mich mein lädierter Fuß in meiner Geschwindigkeit drosselt, bin ich gedanklich schon weit abgedriftet. Die rote Erde, der blaue Himmel und die saftigen Weinreben bilden einen abwechslungsreichen Kontrast. Schwer hängen die schon reifen, purpurnen Weintrauben an den Reben. Wäre ich ein wenig später des Monats auf dem Jakobsweg gestartet, hätte ich mit Sicherheit die Weinernte miterleben können. Seltsame silberfarbene Würmer erkämpfen sich ihren Weg durch die rote Erde und ich muss achtgeben, nicht den ein oder anderen mit meinem Wanderstock aufzuspießen. Erstaunlicherweise gibt es heute auch viele Streckenabschnitte, an denen ich ganz alleine wandere – keine anderen Pilger vor oder hinter mir in Sicht, ob denen wohl aufgrund des Weinkonsums die Puste ausgegangen ist? Meine spanischen Pilgerfreunde haben mir schon vor einigen Tagen verkündet, dass sie in Logroño, der Hauptstadt der Rioja, ihre Heimreise antreten werden. Wird der Camino tatsächlich ein wenig ruhiger? Ich beobachte heute vor allem viele Radfahrpilger! Da die Wege jetzt ebener geworden sind, müssen sie nicht mehr auf die Bundesstraße ausweichen und können auf den „normalen“ Strecken weiterfahren. Mit dem Fahrrad durch die Weinberge zu brausen würde mir auch gefallen! Die Radfahrer wirken alle sehr athletisch und ich stelle mir vor, wie mühsam sich wohl die Streckenabschnitte gestalten, an denen es durchs Gelände bergauf und bergab geht…Definitiv nicht die einfachere Variante der Pilgerreise, dafür benötigen sie kein ganzes Monat um 800 km zu bewältigen und den Rucksack müssen sie auch nicht auf ihren Schultern tragen, sinniere ich vor mich hin…
Da mich mein Fuß noch immer quält, beschließe ich, meine Etappe heute in Los Arcos, ein unscheinbares Mikrodorf, zu beenden – heute ist definitiv nicht der Höhepunkt meiner Kondition. In der Sonne liegen, vor mich hindösen und lesen, nach mehr steht mir heute einfach nicht der Sinn. Da ich schon relativ früh des Tages mein Ziel erreiche, stehen jede Menge verfügbarer Unterkünfte bereit. Eine menschleere Plaza Mayor, steuere ich die einzige verfügbare Lokalität an und erlebe hier mein absolutes Preis-Leistungs-Wunder: ein Glas Wein für 1,20 Euro, ja RICHTIG gelesen!!! Der Weg gibt mir was ich brauche, denke ich amüsiert. Günstigen und guten Wein! Ich beglückwünsche mich selbst zu der grandiosen Entscheidung, hier Quartier bezogen zu haben und lobe mir die Weinregion!
“El vino, mientras más se envejece,
más calor tiene: al contrario de nuestra naturaleza,
que mientras más vive, más se va enfriando.”
Lope de Vega
Frei übersetzt: je reifer der Wein wird, umso mehr Wärme entwickelt er: im Gegensatz zur menschlichen Natur, die, je älter sie wird, umso mehr Kälte entwickelt.