Jakobsweg,  Spanien

Jakobsweg #15 – Wiedersehen mit meinen pellegrini italiani

Von Belorado nach Atapuerca

Um 03:00 Uhr früh erheben sich unter lautem Gepolter die ersten Pilger in unserem Schlafsaal. Trotz Oropax und einer kleinen Schlaftablette (die ich vorsorglich für genau diese Situationen eingepackt habe) ist es unmöglich, das Getöse zu überhören. Was denken sich diese Menschen bloß???? Ohne die geringsten Skrupel wird da das Licht aufgedreht, die Spint-Türen knallen und es wird herumgeraschelt, während der Rucksack für die Tagestour gepackt wird. Da ich noch dazu direkt neben der Eingangstüre liege, bekomme ich das Gezeter im Stiegenhaus dann auch noch mit. Von Gemeinschaftsgeist weit gefehlt. Während ich mich wie ein Mäuschen und meiner Taschenlampe ausgestattet, immer ganz heimlich des Nachts auf die Toilette schleiche, um nur ja niemanden zu wecken, scheinen andere Menschen völlig arglos ihr Ding durchzuziehen. In Gedanken verfluche ich diese furchtbaren Schlafsäle und auch das rücksichtslose Verhalten dieses Idioten, der da in aller Herrgottsfrüh in den Tag starten muss. 

Diesig ist es des Morgens und drückend schwül; düster und einsam liegt die Landschaft vor mir. Obwohl ich mich jetzt offiziell in der Region Kastilien-León befinde, führt der Jakobsweg trotzdem an einigen Abschnitten durch Wälder, Wiesen und Sonnenblumenfeldern vorbei. Ab dem Dorf Tosantos geht es dann kontinuierlich bergauf, hinein in die Wälder, auf eine Steigung von gut 900 Höhenmeter zu den Montes de Oca. Mahnmale und Kreuze sind entlang der Route angesiedelt. An besagten Stellen haben Pilger kleine Bänder angebunden, Jakobsmuscheln, Fotografien und kleine Texte mit Steinen fixiert, niedergelegt. Es wird zunehmend Wärmer, dennoch ist die Luft hier oben herrlich. Es duftet nach Wald und Pinienzapfen. Auf einer planierten Schotterstraße entdecke ich zu beiden Seiten des Waldes eine „Chillout-Area“ die sich „Oasis“ nennt. Ein bisschen vom Hippie-Flair inspiriert, liegen hier bunt bemalte Holzstücke herum, eine verzierte Gitarre hängt zwischen den Ästen und eine etwas abgedrehte groovige Musik beschallt den Ruhesuchenden. Ein Obststand am Rande des Weges sorgt indessen für das leibliche Wohl. Da mich mein Reiseführer schon gewarnt hat, dass es bis Burgos keinen Geldautomaten mehr gibt, muss ich jetzt ein wenig organisierter wirtschaften und versage mir den überteuerten Pilgersnack. Somit ruhe ich mich nur im Schatten ein wenig aus. Als ich so vor mich hin sinniere und entspanne, reißt mich ein fröhliches „Ciao Romana“ aus meinem Schwebezustand – ein wenig irritiert blinzle ich in die Richtung aus der die Stimme kam – da ist doch tatsächlich die italienische Pilgergruppe, die ich auf meinem Weg nach Logroño kennengelernt habe und die mir mit ihrem quirligen Gemüt geholfen hat, die letzten 10 km zu überwinden! Ich freue mich, meine pellegrini italiani wiederzusehen und wir begrüßen uns überschwänglich. Lachend verständigen wir uns wieder in diesem spanisch-italienischen Kauderwelsch, tauschen uns über unsere Reiseerfahrungen aus. Da wir sofort wieder einen Draht zueinander haben und ich mich in ihrer Gesellschaft wohl fühle, nehme ich das Angebot sehr gerne an, mit ihnen gemeinsam weiterzuwandern. In den letzten Tagen stand mir eher der Sinn nach Rückzug und Introspektion, wohingegen ich jetzt wieder für Reisegesellschaft bereit bin.

Auf dem Weg zu den Montes de Oca

Nach einigen Stunden des gemeinsamen Wanderns erreichen wir das reizende Dörfchen San Juan de Ortega. Zwei meiner amicis wollen hier in der kirchlichen Herberge ihre Etappe beenden, die Hitze fordert ihren Tribut. Wir beschließen, noch gemeinsam eine Pause im Imbiss nebenan einzulegen und ein wenig im Schatten auszuruhen, danach besichtige ich die Kirche bevor mich meine Pilgerreise wieder weiterführt, mein Ziel lautet Atapuerca. Die anderen pilgern mit mir weiter, in das knapp 6 km entfernte Dörfchen. Die Hitze gleicht nun einem Inferno. Nur träge kommen wir voran. Das Geplauder dazwischen hebt zwar die Stimmung, sorgt aber auch für zeitliche Verzögerung. Inzwischen ist es schon 15:00 Uhr – so spät bin ich selten noch unterwegs gewesen. An einem kleinen Brunnen in Agés stecken wir kollektiv die müden und erschöpften Füße ins kühle Wasser, danach die Arme bis zu den Ellenbogen…Ich würde sogar meinen Kopf reinhalten, wäre das Wasser nicht so schmuddelig…An einem Trinkbrunnen füllen wir unsere Wasserflaschen auf und wappnen uns für die letzten Kilometer. Ein Schild informiert uns, dass es bis Santiago de Compostela noch lächerliche 518 km Wegstrecke sind, ein Katzensprung sozusagen! Agés ist ein richtig nettes Dörfchen, die kleinen Steinhäuser wirken urig und sind mit Blumenarrangements und Jakobsmuscheln gespickt, davor stehen rustikale Fässer um die sich Weinreben ranken – das scheint ein gemütliches Nest zu sein! Immer wieder finde ich kleine Sprüche auf Steine gekritzelt; an eine Hauswand gelehnt, steht ein ganzer Korb mit Baguettes – ob die wohl für die hungrigen Pilger gedacht sind? Meine amicis beschließen, in der letzten Herberge vor Ortsende ihre Etappe für heute zu beenden. Ich möchte dennoch ein Stückchen weiterwandern, bis ins nächste Dörfchen, Atapuerca.

Spät am Tag erreiche ich endlich meine Unterkunft. Ich habe das Gefühl, als wären meine Wanderschuhe an meinen Fußsohlen festgeklebt. Ich fühle ich mich richtig erledigt. Alles was ich heute noch zustande bringe, ist ein kleiner Abendspaziergang durch das Dorf und hinauf zur Kirche. An die kühle Steinmauer gelehnt, lass ich meinen Blick weit über die Felder und die Landschaft schweifen. Waren es 35 km oder noch mehr, die ich heute bewältigt habe? Ich weiß es nicht…Auf jeden Fall war dies die längste Etappe seit Beginn meiner Reise. In Gesellschaft läuft man scheinbar zu Höchstleistungen auf! Schmunzelnd denke ich über den Spruch nach, der an der Wand meiner Unterkunft prangt: „Nicht wer am schnellst geht, erreicht als Erster sein Ziel, sondern derjenige, der die Richtung kennt“ – Mag wohl sein, aber ich kenne ja meine Richtung und die lautet Burgos! Dort werde ich nämlich morgen ankommen und somit habe ich dann offiziell das erste Drittel des Jakobswegs gemeistert!

Mein Weg nach Santiago
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