Ausgeruht und kultiviert geht es am Nachmittag auf Shoppingtour, durch die Altstadtgassen von Burgos. Mir gefällt das Flair dieser wunderschönen geschichtsträchtigen, aber dennoch belebten Stadt auf Anhieb. Vielleicht liegt es ja an der wochenlangen Pilgerschaft, die alle Sinne wachrüttelt und mich lehrt, offenen Auges meine Umgebung wahrzunehmen; aber es fällt mir neuerdings unglaublich leicht, mich in einer fremden Stadt zu orientieren, das Wegenetz der Altstadtgassen zu entwirren und markante Punkte im Geiste zu speichern. Auf der Plaza Mayor, dem neuralgischen Zentrum jeder spanischen Stadt, entspanne ich mich unter den Arkadenbögen bei einem Glas Wein. Mein Einkaufsbummel war erfolgreich! Die Stadt scheint wie geschaffen für die Pilgerströme – sämtliche Hygieneartikel werden im spanischen Beautytempel Sephora in minimalistischer Fasson, passend für den Rucksack, verkauft. Obwohl ich mir selbst versprochen habe, erst morgen einen Blick auf die Kathedrale zu werfen, kann ich dann zu später Stunde nicht widerstehen und so schlendere ich geschniegelt und gestriegelt zum Wahrzeichen der Stadt. Ein Prozessionszug setzt sich just in diesem Moment, als ich die Plaza de Santa María betrete, vor der Kathedrale in Bewegung. In der sommerlichen Abendluft liegt der schwere Duft von Weihrauch, nur das Rauschen des Windes durchdringt den in andächtiges Schweigen gehüllten, rituellen Umzug. Stumm verfolge ich das religiöse Spektakel, danach umrunde ich einmal den Platz um die Kathedrale. Als Hispanistin weiß ich, dass die Kathedrale von Burgos nicht nur das Grabmal des Condestable Pedro Hernández de Velasco, des Obersten Heerführers Kastiliens und Stellvertreter des König beherbergt, sondern auch als letzte Ruhestätte des spanischen Nationalhelden Rodrigo Díaz de Vivar, ein kastilischer Adliger, kurzum El Cid (arabisch für sayyid = Herr) genannt, dient. Dieser forcierte im 11. Jhdt. zur emblematischen Leitfigur im Kampf der Christen gegen die maurischen Eroberer. Seine Ruhmestaten wurden im spanischen Nationalepos El cantar de mío Cid von einem anonymen Dichter für immer festgehalten und bildet seit Mitte des 17. Jhdts. Teil des Kanons der Weltliteratur. Hell beleuchtet erstrahlt das imposante Gebäude vor dem Hintergrund eines sternenklaren Nachthimmels, vor der Eingangspforte der Westfassade plätschert ein Brunnen. Morgen, so verspreche ich mir, werde ich die Kathedrale mit meinem Mann besichtigen und das Meisterwerk von Innen bewundern.