Jakobsweg #17 – Eines langen Tages Reise durch die Meseta
Von Burgos bis nach León
Die Wanderung von Burgos bis nach León ist mit die längste, eintönigste, mühevollste, von Stimmungsschwankungen geprägteste, staubigste und Hitze geplagteste Strecke meiner gesamten Pilgerreise. Die Bezeichnung „Meseta“ leitet sich vom spanischen Begriff mesa, was soviel wie Tisch, Platte oder Ebene bedeutet, ab. Sie nimmt ihren Anfang offiziell zwischen den Etappen Rabé de las Calzadas und Hornillos del Camino. Knapp eine Woche hat es gedauert, bis ich diese gequert habe und endlich die kastilische Stadt León erreiche. Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes bis an meine Grenzen und darüber hinausgegangen, mit durchschnittlichen Tagesetappen zwischen 35 bis 42 km Wegstrecke. Ich fühle mich, als hätte ich die Wüste durchquert… Die Landschaft ist vor meinen Augen zu einem einzigen Weizenfeld verschmolzen und ich habe jegliches Zeitgefühl verloren – ohne Übergang bin ich von einem in den nächsten Tag geglitten; Wochentage haben ihre Bedeutung verloren. Die folgenden sieben Eindrücke sind meine prägnantesten Erinnerungen, die ich mit dieser Wegstrecke verbinde:
1. Staub
Das Landschaftsbild ist geprägt von Weizenfeldern die entlang des Horizonts immer und immer weiter eine unendliche goldbraune Fläche bilden. Die Wege sind eben, schnurgerade, steinig und staubig. Die wenigen Grünflächen, die sich nur vereinzelt in das Landschaftsgefüge dazwischen schmuggeln, werden mit Wasserpumpen versorgt. Lange, verlassene Landschaftsabschnitte wechseln sich mit kleinen verlassenen Dörfchen ab. Wenn der heiße Wind durch die Landschaft bläst, scheint der Feinstaub in sämtliche Poren zu kriechen. Meine Wanderschuhe haben vom ursprünglichen Schwarz ins Grau gewechselt. Der Staubfilm legt sich wie eine Schutzschicht über meine Beine und wenn ich nach einer langen Tagesreise meine Socken von den müden Füßen ziehe, wirbeln diese eine große Staubwolke auf. Selbiges Phänomen vollzieht sich, wenn ich meine Wanderschuhe versehentlich aneinander schlage. Damit die eingedreckten Schuhe nicht die Unterkünfte besudeln, werden diese zum „Atmen“ vor den Herbergen in einer Reihe, nebeneinander aufgefädelt, zum Auslüften abgestellt. Meine Socken könnten getrost von selbst stehen, so eingedreckt und körnig fühlen sie sich an, dass tägliches Waschen absolute Energieverschwendung wäre. Doch nicht nur meine Socken werden in Mitleidenschaft gezogen – auch meine Haut fühlt sich seltsam granuliert an, als würde ich mir ständig ein Peeling verpassen. Die Handflächen fühlen sich trocken an, die Schleimhäute sind gereizt, die Nase kitzelt und die Augen tränen, aus meinen Haaren kann ich Sandkörnchen ziehen – niemals habe ich mir sehnlicher einen Regentag gewünscht.
2. Hitze
Die Hitze ist wohl das größte Übel wenn man durch furztrockene Ebenen, mit 8 kg Gewicht am Rücken, für durchschnittlich acht Stunden täglich wandert. Die wenigen Bäume entlang der Wegstrecken sind entweder noch nicht hoch genug gewachsen um Schatten spenden zu können oder schlichtweg nicht vorhanden. Die Farbe des Himmels ist immer tiefblau, die Luft flimmert an der dünnen Linie zwischen Horizont und Landstrich. Das Schlimmste aber sind die Fliegen, die sich entweder aufgrund des Schweißes oder vor Langeweile um die Pilger reißen. Somit läuft mir nicht nur pünktlich ab 11 Uhr vormittags die Soße über die Visage, hinzukommen noch die lästigen Fliegen, die an meiner Haut kleben bleiben oder mir vor dem schweißnassen Gesicht herumschwirren. Wie eine Wahnsinnige fuchtle ich mit beiden Armen und Gehstöcken vor mir herum, in dem hoffnungslosen Versuch, dem Insektenansturm Herrin zu werden. Wanderungen um die Mittagszeit kommen einer Querung des Fegefeuers gleich. Es bleiben also nur zwei Möglichkeiten: die Etappen zu kürzen oder früher zu starten. Ich muss mich also den Gegebenheiten anpassen und meine Etappen so früh wie möglich ansetzen. Das missfällt mir zwar, da ich absolut keinen Sinn darin sehe, eine Pilgerstrecke im Dunkeln abzuwandern ohne dabei die Umgebung wahrnehmen zu können, geschweige denn die Orientierung zu wahren…Folglich läutet der Wecker nun um 6:00 Uhr. Ich beobachte meine Leidensgenossen und deren Herangehensweise, sich der drückenden Hitze zu widersetzen – besonders skurril finde ich die Herangehensweise der Asiaten. Die tragen nämlich nicht nur lange Hosen und Ärmel, sondern auch Handschuhe und einen Gesichtsschutz um nur ja keinen Millimeter ihrer blassen Haut der spanischen Sonne aussetzen zu müssen. Wie viele von ihnen bereits kollabiert sind, möchte ich lieber nicht so genau hinterfragen. Eine weitere findige Methode entdecke ich an einer Pilgerin, die einen eigens dafür vorgesehenen Sonnenschirm verwendet, unter diesem ihre Tagesetappen abläuft. Auffällig ist auch, dass eine Vielzahl der Pilger nur mit kleinen Rucksäckchen oder Bauchtäschchen unterwegs sind – deren Gepäck pilgert wohl separat mit dem Rucksack-Transportservice quer durchs Land.
3. Schmerzen
Pilgern schmerzt, manchmal. Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, nämlich dann, wenn man sich nach vier Tagen Wanderschaft durch das Fegefeuer, alias Meseta, eine überdimensional große Blase zuzieht! Und das trotz Vorbereitungswanderungen, Hirschtalgcreme schmieren, ungewaschenen Socken, eingegangenen Wanderschuhen, Pflastern und täglicher Inspektion. Wie es dazu kam – ich kann nur mutmaßen… Wahrscheinlich resultierend aus der Kombi Hitze & schweißnasse Füße. Und dann ereignet sich das Übel auch noch an einer solch dämlichen, gemeinen Stelle, die jeglicher Logik entbehrt: an jener Hautstelle, rückseitig zwischen großem Zehen und zweitem Zehen – und all das innerhalb von nur einer Stunde. Mir sinkt der Mut als ich am Ende der Etappe meine Füße begutachte. Die Blase hat ungelogen einen Durchmesser von zwei Zentimetern. Allein der Demütigung ist es zu verdanken, dass es davon kein Bildmaterial gibt. Also muss ich ran an die Sache: Notversorgung! Als gelernte Krankenschwester weiß ich Bescheid wie so etwas abläuft: Sicherheitsnadel und Hautstelle desinfizieren, danach aufstechen, Flüssigkeit abfließen lassen, nochmal desinfizieren, abtapen – auf Wiederschauen. Selbstversorgung geglückt, Patient lebt…vorerst…Dennoch ist die Stelle über längere Zeit hinweg Druckempfindlich und mir bangt vor einer erneuten Blasenbildung. Bis heute, da meine Pilgerwanderung schon Monate zurückliegt, befindet sich an genau jener Stelle eine Hornhaut par excellence.
4. Gefühlsschwankungen
Schon die Erwähnung der drei oben angeführten Bedingungen während meiner Durchquerung der Meseta würden den Verdacht nahelegen, dass ich mich während dieser Zeitspanne nicht gerade in Hochstimmung befand. Die Gefühlsschwankungen und der ständige, konstante Wechsel zwischen Wutausbrüchen, Heulattacken, Lachanfällen, Selbstbemitleidung, Energieschüben, Ich-liebe-die-Welt bis zu Ich-hasse-mein-Leben-Phasen lieferten mir die erstaunlichsten Selbsterkenntnisse über meine Person. Ich leide definitiv an keiner Borderline- Persönlichkeitsstörung, auch wenn dieses Gefühlskarussell dem wohl widersprechen würde. Es gibt Tage, da möchte ich den Wecker am Morgen am liebsten gegen die Wand schlagen, so sehr grantet mich die Vorstellung, von dem nächsten langen Tagesmarsches durch die Meseta. Ich hasse die elende Hitze, die überfüllten Pilgerpfade und dass man absolut keine Möglichkeit findet, mal irgendwo schnell zu pinkeln, weil einem dauernd jemand an die Pelle rückt und man nirgends einen Sichtschutz findet. Ich hadere mit mir selbst, denn ich hasse den Staub, die lädierte Stelle zwischen meinen Zehen, das ewig monotone Landschaftsbild und generell diese blöde Idee, 800 km an einem Stück zu hatschen!!! Aber dann gibt es Tage, wie jenen Morgen, als ich in meiner Unterkunft in Frómista erwache, durch die offene Dachluke noch die letzten, sich eben am Erblassen befindenden Sterne sehe und die klare Morgenluft rieche. Ich höre die Schritte der anderen Pilger, die sich schon wieder on tour befinden und dann kann es mir gar nicht schnell genug gehen: Ich möchte sofort raus aus meinem kuscheligen Bett, rein in die Pilgerfetzen, den Rucksack packen und einfach nur in den Tag starten! Die Energie die mich dabei erfasst, lässt sich am ehesten mit einem starken Café plus Energydrink auf nüchternen Magen beschreiben – so schnell schießt mir das Adrenalin in den Körper. Der Weg wartet schon auf mich, also los!!!
Und wenn ich an solch einem Tag starte, dann liebe ich alles: diese einmalige Erfahrung, das zeitige Aufstehen, den klaren Sommermorgen, die Pilgergrüße, das Gewicht des Rucksacks auf meinen Schultern, das Gefühl des Ausgeruhtseins und der Gedanke, an einen neuen Tag, der mich ein bisschen näher an mein großes Ziel bringen wird. An solchen Tagen plaudere ich gerne, suche Gespräche und Kontakt zu meinen Mitpilgern, knipse viele Fotos und hoffe dabei, diese Reise möge niemals enden. Dann gibt es auch Tage, an denen ich so ergriffen bin, sei es ob der schieren Gewalt der geschichtsträchtigen Pilgerstrecke, die unzähligen zurückgelegten Kilometer die mich demütig werden lassen, oder einfach nur ein kleiner Spruch an einer Wand – und schon muss ich heulen. Dann flenne ich still vor mich hin, während meine Silhouette einen langen Schatten wirft und mir bei meiner Wanderung tröstend zur Seite steht. Als hätte ich ein Kopfkino aktiviert, spuken mir die absurdesten Gedanken und Erinnerungen durch den Kopf und ich beobachte mich manchmal dabei, wie ich Selbstgespräche vor mich hermurmle. So geschieht es, dass ich plötzlich einen Lachanfall bekomme, aufgrund irgendeines Schwachsinns, den mein Geist widerkäut, den ich so unsagbar witzig finde, dass ich schon Bauchkrämpfe vor lauter Lachen bekomme und dabei den Anschein erwecke, als hätte ich einen Sprung in der Tasse. Vielleicht macht einen der Camino ja ein wenig Irre – aber auf eine gute Weise!
5. Mut
Einer Portion Mut bedarf es gewiss wenn man eine solche Reise beschreiten möchte. Nicht nur Mut für das Abenteuer, sondern vor allem Mut, mit sich selbst sein zu können und das Alleinesein nicht als Bürde, sondern als Geschenk zu erachten. Während meiner Reise habe ich mich selten vor etwas gefürchtet – außer vielleicht, zu wenig Klopapier in den Herbergen vorzufinden oder schlechten Wein trinken zu müssen. Als meine mutigste Aktion erachte ich jenen Morgen, als ich mich der 18 km langen Strecke zwischen Carrión de los Condes bis nach Calzadilla de la Cueza stellen muss – Eine schnurgerade Strecke ohne Dörfer, ohne Schatten, ohne Wasser und ohne Pinkelmöglichkeiten. Hinzu kommt noch die Hitze der letzten Tage, weshalb ich vor der dreieinhalbstündigen Wegstrecke großen Respekt empfinde. Ich will möglichst früh aufbrechen, doch vor lauter Nervosität bin ich schon um 3:00 Uhr früh munter und starre an die Decke. Um 4:00 Uhr früh reicht es mir dann – „Scheiß drauf, ich gehe jetzt los“, war mein erster Gedanke. Bis 7:30 Uhr würde ich in absoluter Dunkelheit herumirren, mich nur mit Hilfe meiner Lampe, ein aufladbares Fahrradlicht, orientieren können. Es muss sein, ich will nicht länger warten und das für mich Unmögliche vollbringen – alleine durch die Dunkelheit irren!
Die Straßen sind Menschenleer. Keine Menschenseele befindet sich um 4:45 Uhr auf dem Camino. Wo es noch Straßenbeleuchtung gibt, fällt die Orientierung leicht, dann muss ich die Hauptstraße queren und 4,5 km lang der Landstraße folgen. Keine Autos, keine Menschen – und niemand, der mir zu Hilfe eilen könnte, sollte mir etwas zustoßen. Das Blut pocht in meinen Ohren und ich beschleunige meine Schritte. Ich muss ganz genau acht geben, an welcher Stelle der Landstraße die Abbiegung auf den Pilgerpfad führt. Es ist stockdunkel. Ich erkenne nicht einmal mehr die Lichter der zurückliegenden Stadt. Ich bekomme ein wenig Panik. Es ist so dunkel, dass ich nicht einmal meine Hand vor Augen, geschweige denn die gelben Pfeile, sehen kann… Hektisch fuchtle ich mit meiner Lampe herum und es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis ich mir sicher bin: hier lang führt der Weg. Ich höre nur das Rascheln der Blätter, schwer definierbare Tierlaute und sonst nichts als meine eigenen Schritte. Warum müssen einem gerade in solchen Situationen die schockierendsten Szenen an Horrorfilmen durch den Kopf gehen? Als dann auch noch ohne Vorwarnung eine Gestalt an mir vorbeizieht, fühle ich mich dem Ohnmachtsanfall nahe. Zum Glück ist es nur ein Pilger, der ohne Beleuchtung unterwegs ist. Man grüßt und ich habe zumindest die Gewissheit – ich bin auf dem richtigen Weg. Schon nach wenigen Sekunden verliere ich die Gestalt wieder aus den Augen, vor mir nur der Hauch meines eigenen Atems, über mir der Sternenhimmel. Es ist verdammt kalt so zeitig in der Früh. Wer hätte das gedacht – am Ende jammere ich noch, weil es mir zu kalt ist… Als ich erneut vor einer Kreuzung anstehe, schicke ich ein Stoßgebet los. Ich warte, drehe mich um und starre angestrengt in die schwarze Nacht hinter mir, bis ich in weiter Ferne das Leuchten einer Taschenlampe erkenne. Eine ältere englische Pilgerin spricht mich sofort an, auch sie wirkt erleichtert, sich endlich in Gesellschaft zu befinden. Wir sind uns beide nicht sicher, ob der Weg nun leicht links bergauf oder doch rechts, durchs Dickicht führt. Schließlich finden wir die Via Aquitana, die Alte Römerstraße, auf der der Camino immer geradeaus führt. Wir plaudern miteinander, die Zeit verfliegt. Sogar Pinkelpausen sind möglich, da uns immer noch die finstere Nacht umgibt.
Ein paar Mal bleiben wir stehen und beobachten die dünne Linie am Horizont die sich nun langsam orange verfärbt. Sonnenaufgang über der kargen Landschaft der Weizenfelder. Die rot-rosa-orangenen Strahlen der Morgenröte erhellen den Weg und ich kann endlich meine Umgebung betrachten. Alles erstrahlt im goldenen Licht des neuen Tages und ich muss ein wenig für mich alleine sein, ein paar Tränen vergießen, so sehr rühren mich der Anblick und die Gewissheit, heute über meinen Schatten gesprungen zu sein. Als wir die Kirchturmspitze des Dorfes erblicken ist es gerade mal kurz nach 8:00 Uhr früh und ich habe bereits knapp 20 km hinter mich gebracht. Wir jubeln und gönnen uns gleich bei der ersten Herberge am Ortseingang einen großen Café mit Kuchen und setzen uns in die warme Morgensonne. Danach umarmen wir einander wie alte Freunde, danken einander für die nette Gesellschaft, das anregende Gespräche und wünschen einander viel Glück für die weitere Reise und ein ¡Buen Camino!
6. Sprüche & Wegzeichen
Der Weg spricht zu mir – in Form von kleinen Sprüchen und Zeichen entlang des Weges. Die meisten dieser Botschaften sind auf Englisch oder Spanisch, teilweise sogar auf Deutsch verfasst. Ich lese sie immer sorgfältig und empfinde sie als besonders motivierend. Sie vermitteln mir das Gefühl, dass die Pilgerschaft nicht nur eine Reise zu Fuß, sondern auch eine Reise durch die Gedanken bildet. Sprüche und Zeichen lassen sich überall finden – sei es auf Holztafeln gekritzelt, an Häuserwände gesprayt, Botschaften auf kleinen Zetteln, die einfach am Wegrand ausgestreut werden. Auf den Monolithen, den steinernen Wegweiserblöcken, werden ausgetretene Schuhe symbolisch abgelegt, mit den größeren Steinen werden Formationen auf den Schotterstraßen gebildet. Während meiner Meseta-Querung vertiefe ich mich immer wieder in das berühmte Gedicht „Caminante“ (dtsch. Wanderer) von Spaniens Nationallyriker Antonio Machado, dessen Werke zutiefst von seiner kastilischen Heimat geprägter wurde. Die poetische Annäherung mit diesem Landschaftsabschnitt berührt mich sehr und zum allerersten Mal habe ich das Gefühl, jetzt, da ich das beschriebene Szenarium mit eigenem Augen sehe, erfasse ich seine Worte erst richtig:
~
Caminante, son tus huellas el camino, y nada más;
caminante, no hay camino: se hace camino al andar.
Al andar se hace camino, y al volver la vista atrás
se ve la senda que nunca se ha de volver a pisar.
Caminante, no hay camino, sino estelas en la mar.
~
Wanderer, nur deine Spuren sind der Weg, und mehr nicht;
Wanderer, es gibt keinen Weg: Wege entstehen während man sie geht.
Während man geht entsteht der Weg, und wendet man den Blick zurück
sieht man den Pfad, den man nie mehr wieder beschreiten wird.
Wanderer, es gibt keinen Weg, nur eine Kielspur im Meer.
~
Antonio Machado
7. Routine & Rituale
Auf der Wegstrecke zwischen Burgos und León wäge ich mich ganz angekommen in meiner Pilgerrolle. Ich hätte es zu Beginn meiner Reise nicht für möglich gehalten, dass selbst die Pilgerschaft zur Routine werden, oder zumindest routiniert ablaufen kann. Da Rituale dem Menschen Sicherheit vermitteln, dauert es nicht lange, bis auch ich meine Abläufe getaktet weiß: Weckerläuten, Aufstehen, Yogaübungen, Duschen, Café trinken, Starten, 1-2 Stunden wandern, 2. Cafépause, Unterkunft checken, 2-3 Stunden wandern, nächste Pause, Schuhe ausziehen, wandern, ankommen, Unterkunft orten, einchecken, duschen, Wäsche waschen, Nahrungsmittelbeschaffung, Tagebuch schreiben, Weintrinken, Abendessen, Kleidung vorbereiten, Etappenplanung, Schlafengehen. Mittlerweile könnte ich den Rucksack mit geschlossenen Augen packen, so sehr ist er mir vertraut geworden. Ich weiß ganz genau, an welcher Stelle ich welches Teil positionieren muss; brauche nicht mehr ewig schlichten und suchen wie noch in der 1. Woche. Auch während der Wanderung gelingt es mir mühelos im Gehen, vom obersten Fach meines Rucksacks Utensilien herauszufischen, z.B. Klopapier oder das Handy. Wann immer ich Lavendelbüsche entdecke, zupfe ich mir einen Halm der Aromapflanze und befestige ihn an der Schlaufe meines Brustgurtes, damit mich sein zarter Duft erfrischt. Manchmal kritzle ich auch Pfeile mit meinen Wanderstöcken auf den staubigen Boden oder lege einen Stein auf die feinsäuberlich gebauten Türmchen am Wegesrand. Auch habe ich mich während dieser Zeit intensiv mit dem Schreiben meines Tagebuchs befasst. Vieles lässt sich, erst einmal zu Papier gebracht, klarer erkennen. Das hat mir geholfen, diese Strecke durchzustehen, die Pampas zu bezwingen und wieder in die Zivilisation, namens León, einzutauchen.
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